Donnerstag, 11. Dezember 2008

Jolanda 2 :: Befreiung

"Du bist viereinhalb Jahre fort gewesen."
Mittlerweile war es völlig dunkel geworden, und der Regen hatte erneut eingesetzt. Der alte Holzstuhl knarrte unter meinem leichten Zusammenzucken. Grundlos griff ich nach der leeren Tasse auf dem Tisch neben mir und stellte sie nach einem hektischen Blick hinein wieder zurück.

"Vier Jahre und zwei Monate", hörte ich mich murmeln. Sie bewegte sich, doch ihr Gesicht war in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen.
"Das macht es nicht besser. Du hast sie doch nicht mehr alle. Einfach abhauen. Keiner weiß, wo du bist. Dann zweimal im Jahr eine Postkarte schreiben, es ginge dir gut, du würdest uns vermissen", sagte sie mit gepresster Stimme, mich ansehend.

Ich weiß.

"Und dann einfach hier auftauchen, und bei 'nem Kaffee drüber reden wollen? Stirbst du jetzt, oder was?"
"Nein, ich sterbe nicht."

Sie atmete tief durch, schien wieder ruhig, während sie dennoch nach ihrem Tabakbeutel griff und begann, sich eine weitere Zigarette zu drehen. Früher hatte sie weniger geraucht. Dafür war sie impulsiver gewesen, sie hatte die Distanziertheit mir gegenüber nie so lange ausgehalten. Damals war sie aber auch lediglich aufgesetzt gewesen, die Distanziertheit. Vier Jahre und zwei Monate früher. Sie hatte sich verändert, ich konnte es unter der Maske erkennen.

"Was willst du dann hier? Jetzt?"
Etwas ratlos zuckte ich mit den Schultern. Schon zu Anfang hatte ich nicht so recht gewusst, was ich sagen wollte, jetzt gab es für mich nichts mehr zu sagen. Was ich suchte, begriff ich, würde ich nicht bekommen. Der Mensch, der mich hätte lossprechen können, existierte so nicht mehr. War verschwunden zwischen Warten, Ungewissheit, Wut und vier Jahren und zwei Monaten Leben, von denen ich keine Ahnung hatte, in denen ich nur als Absender auf halbjährlichen Postkarten augetaucht war. Überraschung. Nur die Schulden zwischen uns und der flaue Nachklang unwideruflich falscher Entscheidungen waren geblieben. Der Regen wurde stärker, und der Wind drückte sich geräuschvoll in Winkel und Ecken des Giebels.

"Wirst du dich jetzt stellen?", fragte sie, den Blick wieder in das bewegte Nichts vor dem Fenster gerichtet, und entzündete die Zigarette. Das Aufflammen erzeugte eine kurze Reflexion ihres Gesichts in der Scheibe. Für eine Sekunde fragte ich mich, ob das nun doch noch ein letztes Mal die Frau von früher gewesen war, die mir vertraute Maske.

Dann suchten sich auch meine Augen einen unbestimmten Punkt in der cyangesprenkelten Schwärze, mein Kopf voller Bilder aus den letzten Jahren, durchmischt mit der Angst vor den bevorstehenden; Fluchtgedanken, dem lebensbegleitenden Drang nach Weite um mich herum. Nach Freiheit.

Aber wie frei kann man schon sein, wenn man nicht loslassen kann, was man loswerden muss?


Dieser Text ist für die Ausgabe Befreiung des Projekts Kurzschluss von bastiH entstanden. Während der Produktion kam außer etwas veralteter Hardware kein Lebewesen zu schaden.

Noch viel Befreienderes gibt es von
frau cassiopeia im gastbeitrag beim neubaublog
karatekueken
bastih
Patsy Jones mit gastbeitrag bei saripari's septemberrave

Sonntag, 7. Dezember 2008

freizeichen

Ich nehme an, ich hätte mich auch nicht angerufen.

Mittwoch, 19. November 2008

keine waffe aus ebenholz

soviel du
in fleisch und blut
drübergegangen

soviel ich
weiß wieim schnee
draufgegangen

Samstag, 8. November 2008

Unser kleiner Liebling

Börps.

...nie räumt sie ihre Reste weg...

Montag, 3. November 2008

herbst - zeit - lose

es ist so einsam ohne dich,
haucht dir der herbst ins ohr.

mit mir, schreist du zurück,
war es doch noch viel einsamer.

Dienstag, 28. Oktober 2008

Prinzessin Drama hat die Schnauze voll

Man muss vorsichtig mit mir umgehen, und bestimmte Dinge vertrage ich nicht, denn ich bin in der Vergangenheit sehr verletzt worden, sagte Prinz Baldrian und sah sie an mit einem Blick, der vom tief durchlebten Leid seines Trägers berichten sollte.

NA UND?! brüllte Prinzessin Drama, der nun endgültig der Geduldsfaden gerissen war, quer über den soeben servierten Hauptgang, ICH AUCH! JE - DER! WIR ALLE! KOMM' VON DEINEM SCHEISS-EGOTRIP RUNTER! Außer sich vor Wut warf sie ihm noch einge sehr hässliche Worte und versuchsweise einige nur geringfügig weniger hässliche Dekorationsartikel an den Kopf, bevor sie das Restaurant verließ.

Prinz Baldrian hatte sich so ein Blind-Date zwar irgendwie anders vorgestellt, fühlte sich aber dennoch bestätigt in seiner Weltsicht: das Leben wollte ihm partout nichts Gutes.



Für K., die eine Inspiration war und ist und außerdem noch absolut Recht hat. ♥

Montag, 27. Oktober 2008

Teilsanierung

Verzeihen Sie bitte die Spielereien, sofern Sie was davon mitbekommen, aber da müssen wir nun alle durch. Aus irgendeinem Grund wurstel ich halt lieber im laufenden Motor.

Montag, 20. Oktober 2008

Jolanda 1

Wir saßen am Fenster, im Halbdunkel der Dämmerung, und einige letzte, träge Regentropfen malten neue Wege in das Durcheinander ihrer kleineren Artgenossen auf dem kühlen Glas. Irgendwo heulte ein Motor auf und die hektische Geschäftigkeit auf den Hinterhöfen, die mit Beendigung des Regens fast sofort wieder eingesetzt hatte, drang als vertraute Geräuschkulisse hinauf zu uns.

Langsam und lange sog sie den Rauch der selbstgedrehten Zigarette in sich ein. Mit betonter Lässigkeit hielt sie sie zwischen den Spitzen von Daumen und Zeigefinger. Ich kannte sie lange genug, um den Schild zu sehen, den sie so um sich zu erichten wusste. Das Paradoxon: körperlich nicht mehr sie selbst, sondern eine Maske, eine Figur, war dieser Zustand derjenige, der einen Einblick in sie als Person ermöglichte, der es ihr als Person ermöglichte, sich frei unter Menschen zu bewegen.

Sie sah mich nicht an; nicht während des Inhalierens und auch nicht während sie den Qualm nach einem kurzen Moment des Innehaltens wieder in einem flachen Strahl aus Lunge und Mund entweichen ließ. Blicklos starrte sie durch die Fensterscheibe. Ein-, zweimal zuckte ihre Unterlippe, so als würde sie - endlich - beginnen zu sprechen, doch das kurze Beben erstarb jedes Mal in der schweren Stille der Küche.

Und Du so?

Du bist nicht angemeldet.

Sieh mal zu!

warm und licht und plüschig

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Nix geht verloren, der Treibsand wird archiviert: Deutsches Literaturarchiv Marbach. Danke.

Anna

- heißt eigentlich anders und schreibt seit 2002 hin und wieder was ins Internet, seit 2007 tut sie es hier. Ab und an denkt sie wegen Untätigkeit laut oder leise übers Löschen nach, durchringen kann sie sich nicht. Im Treibsand versinken Gefühle, Eindrücke und Textfetzen, die irgendwohin müssen, aber nirgends so richtig passen wollen.

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